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Die Einführung von Safewards auf Station 5 unten

Die Pflege in der Psychiatrie geht neue Wege. Trotz Pandemie konnten im Laufe des letzten Jahres die Behandlungsmethoden des Safewards-Konzepts vollständig auf der beschützenden Station 5 unten implementiert werden. Das Safewards-Konzept ist ein innovativer therapeutisch-pflegerischer Ansatz, welcher eine stationäre psychiatrische Behandlung zwischen professionellem Pflegepersonal und PatientInnen konfliktfreier und harmonischer gestaltet. Im Safewards-Konzept geht es im Besonderen darum, angst- und aggressionsauslösende Situationen durch Reduzierung des Eindruckes von Gewalt, Zwang und Aggressivität in der Behandlung und während des stationären Aufenthaltes nachhaltig zu vermindern. Das Handwerkzeug dafür sind die Maßnahmen der positiven Kommunikation, der empathischen Grundhaltung, der verstärkten Zuwendung in belasteten Situationen und die Umsetzung von geschulten Deeskalationstechniken.

Bereits 2009 hat sich die Leitung des BKH-Lohr entschieden, durch gezielte Schulungen für MitarbeiterInnen in der Deeskalation und Gesprächsführung die anfallenden Zahlen aggressiver Übergriffe durch PatientInnen positiv zu senken. Zusätzliche Verstärkung dieses Effekts erweist sich nun in der Einführung des Safewards-Programms in der Klinik, vor allem auf den geschützt geführten Stationen wie Haus 5 unten, Haus 19 unten und im Suchtbereich.

Im Sommer 2019 haben die Safewards-Beauftragten Celine Mohr, Krankenschwester, und Beate Reinfurt, Fachkrankenschwester für Psychiatrie, die Behandlungsweisen auf der beschützenden Station 5 unten mit den Safewardsgrundlagen evaluiert. Die Station 5 unten nimmt eine wichtige Position für die Behandlung im BKH Lohr am Main ein, da sie als beschützende Aufnahmestation die erste Anlaufstelle für neue Patientinnen in einer persönlichen Krisensituation ist. Die MitarbeiterInnen auf der Station 5 unten sind für die ausschließlich weiblichen Patientinnen oft der erste Kontakt mit einer Psychiatrie. Umso wichtiger ist es daher, Ängste abzubauen und eine vertrauensvolle, sichere und kommunikative Umgebung zu schaffen, in welcher die Patientinnen in ihrer Gesundung unterstützt werden können.

Das Safewards-Konzept beinhaltet 10 grundsätzliche Interventionen:

  1. Die Klärung gegenseitiger Erwartungen
  2. Eine verständnisvolle Kommunikation
  3. Die positiven Kommunikationstechniken
  4. Eine professionell deeskalierende Gesprächsführung
  5. Die unterstützende Kommunikation
  6. Eine Möglichkeit des gegenseitigen Kennenlernens
  7. Die gemeinsame Unterstützungskonferenz
  8. Die Methoden der Beruhigung
  9. Das Anbieten von Sicherheit
  10. Die Entlassnachrichten

Vieles davon hatte die Station 5 unten schon impliziert und in Ihrem pflegerischen Alltag integriert. Zur abschließenden Einführung des gesamten Safewards-Konzeptes auf Station 5 unten, fehlte nur noch die Umsetzung der Interventionspunkte 1, 6, 7 und 10.

Zur „Klärung gegenseitiger Erwartungen“ wurde die Stationsordnung um vier zusätzliche Ordnungspunkte erweitert. Diese werden nun bereits im Aufnahmekontakt oder bei entsprechendem Bedarf den PatientInnen vorgestellt. Der „Entlassbaum“ wurde für Station 5 unten entworfen und im Stationsambiente integriert. Die zugehörigen Materialien sind zusammen mit PatientInnen erstellt worden und sind jetzt ein wertvoller Beitrag im Rahmen unseres Bezugspflegesystems.

Entlassbaum Safewards

Der Entlassbaum auf Station 5 unten des BKH Lohr

Foto: Beate Reinfurt

Letzter und auch aufwändigster Interventionspunkt Nummer 6 blieb die Neugestaltung der Fotowand und das Erstellen eines Kennenlern-Ordners für Station 5 unten. Im Besonderen wurde eine speziell auf die Bedürfnisse von Station 5 unten angepasste Fotowand erstellt, sowie ein Kennenlern-Ordner. Zum ersten Mal sind somit alle auf Station tätigen Mitarbeitenden für die Patientinnen klar als Ansprechpartner identifiziert und die therapeutische Beziehung wird dadurch aktiv gefördert.

Die bestehende Fotowand war unvollständig und optisch nicht aufwertend fürs Stationsmilieu und wirkte auch wenig vertrauenserweckend. Das Safewards-Konzept fordert dazu, das gegenseitige Vertrauen und Bekanntwerden zum Aufbau einer therapeutischen Beziehung zu unterstützen. Vertraute Beziehungen geben den PatientInnen Orientierung und Sicherheit, stärken ihre Krisenbewältigungsfähigkeiten und steigern ihr Wohlbefinden. Aussagekräftige Fotografien zur Unterstützung der nonverbalen Kommunikation und freundliche Vorstellungstexte aller Mitarbeitenden betrachteten dabei die zuständigen Safewards-Beauftragten zusammen mit der Stationsleitung als sinnvoll und auch gut umsetzbar.

Ein zentraler Punkt ist dabei die Einbeziehung und Darstellung des gesamten Pflegepersonals, des ärztlichen Teams, der Therapierenden und der Reinigungskräfte. Die grundlegende Idee ist, die jeweilige Person in ihrer professionellen Identität aber doch mit persönlichem Bezug darzustellen. Die Fotografien wurden dabei durch persönliche Gegenstände bereichert. Obwohl am Anfang Unsicherheit bezüglich der professionellen Distanz bestand, waren viele KollegInnen bereit, einen persönlichen Gegenstand, beispielweise ein Hobby, mit einzubeziehen. Als Ort der Fotografie wählte das Team das hintere Treppenhaus auf Station 5 unten, weil dies den Patientinnen optisch bereits vertraut ist. Die MitarbeiterInnen tragen jeweils ihre Dienstkleidung und sind so auch im Stationsalltag keine „Fremdkörper“. Die entstandenen Fotografien bilden eine Vielzahl von persönlichen Interessen ab, von Reisen und Gärtnern, bis hin zu mitgebrachten Haustieren oder Sammelobjekten. Ziel dabei war es, den Zusammenschluss zwischen Profession einerseits und Mensch-Sein andererseits klar verständlich aufs Bild zu bringen.

Die Fotografien wurden durch persönliche Texte in einem Kennenlern-Ordner erweitert. Beim Erstellen der Texte konnten die KollegInnen auch ihre persönlichen Werte und Vorstellungen zu Papier bringen. Neben dem allgemeinen Vorstellen mit Name und Beruf, beschrieben viele ihre Aufgaben auf Station, sie berichteten von ihrem beruflichen Werdegang und teilten auch private Interessen oder Hobbys mit. Dabei wurde auf die Einhaltung von Privatsphäre und den Regeln von professioneller Nähe und Distanz geachtet. Die Länge der Texte variierte von einer kurzen tabellarischen Aufstellung bis hin zum ganzseitigen Brief an die LeserInnen.

Die ersten Reaktionen schon während des Aufbaus der Fotowand waren durchweg positiv. Die neugestaltete Fotowand wertet nicht nur die Station optisch auf, sondern animiert alle Interessierten zum Austausch. Zum einem fragen die Patientinnen aktiv nach, zum anderen lernen sich auch die Mitarbeitenden besser kennen. Ein überraschender Nebeneffekt dabei ist, dass sich die TeilnehmerInnen auch innerhalb des Teams von Station 5 unten mehr als Einheit empfinden. Dies wurde vor allem dadurch unterstützt, dass bei der Anordnung der Fotografien und auch in dem Kennenlern-Ordner bewusst auf sonst übliche und strenge Hierarchien verzichtet wurde. Besonders positiv wurde dabei aufgenommen, dass auch die ärztliche und pflegerische Direktion an dem Projekt teilnahmen. Dadurch wurde auch die gegenseitige Wertschätzung aller Mitarbeitenden auf Station 5 unten gestärkt.

Zum Ende der Projektlaufzeit wurde innerhalb des BKH-Lohr eine Arbeitsgruppe einberufen. Diese hat zum Ziel, die vollständige Umsetzung des Safewards-Konzepts für alle Stationen voranzutreiben. Die Fotowand und der Kennenlern-Ordner auf Station 5 unten sind dabei ein Pilotprojekt. Elementar erscheint dabei die weiterbildende Schulung zusätzlicher MitarbeiterInnen für das Safewards-Modell.

Die Einführung von Safewards auf Station 5 unten hat deutlich merkbare Verbesserungen in der Beziehung zwischen den Behandlern und Patientinnen gebracht. Zusammen mit den bereits umgesetzten Deeskalations- und Kommunikationstechniken sind die Zahlen aggressiver Übergriffe spürbar gesunken. Eskalierende Situationen während einer psychiatrischen Behandlung haben für alle Betroffene, Angehörige und Mitarbeitende dramatische und häufig auch traumatische Folgen. Verschiedene Studien aus dem In- und Ausland belegen die Wirksamkeit der Implementierung von Safewards zusätzlich und werden als Anreiz gesehen, diesen Weg weiter zu beschreiten. Mehr Zufriedenheit und Sicherheit, die Vermittlung von Werten der Freundlichkeit und Fürsorge auf allen Seiten motivieren weiter dazu, die bereits eingeführten Interventionspunkte auszubauen und zu vertiefen.

Text: Beate Reinfurt, Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Station 5 unten

Ansprechpartner:
Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit
Lisa Hörnig & Inge Schönmann
Am Sommerberg 21
Tel: 09352 503-20051 / -20052